In sozialen Netzwerken wird behauptet, dass in Deutschland rund zwölf Prozent Analphabeten leben und Migranten die Zahl nach oben treiben. Zwar stimmt die Zahl grundsätzlich - doch sie wird fehlinterpretiert. Von J. Kuttner.
Unterstellt wird in den Postings und Kommentaren, dass die Zahl so hoch sei, weil aktuell so viele Migranten nach Deutschland kämen. Doch die werden in der Studie zum allergrößten Teil gar nicht erfasst.
Die Professorin Anke Grotlüschen war an der Studie beteiligt. Auf Anfrage des ARD-Faktenfinders erklärt sie, dass für die Studie keine Menschen befragt worden seien, die neu nach Deutschland gekommen sind und in Flüchtlingsunterkünften leben: "LEO 2010 und 2018 sind bevölkerungsrepräsentative Haushaltserhebungen der 18-64-jährigen Wohnbevölkerung, sprich derjenigen, die in Haushalten anzutreffen sind. Menschen in Unterkünften sind nicht erfasst - weder im Justizvollzug, der Pflege, in Einrichtungen für Behinderung noch Neuzuwanderung."
Was sagt sie zu der Behauptung, dass im Kaiserreich die Alphabetisierungsrate in Deutschland höher als jetzt sei? "Das ist ein fehlerhafter Vergleich. Die Messmethode im Kaiserreich bestand darin, in den Heiratsregistern zu zählen, wie oft mit Namen unterzeichnet wurde und wie oft mit drei Kreuzen unterzeichnet wurde", erklärt Grotlüschen.
Was zeigt das auf? Es bräuchte mal eine Studie, die die wissenschaftliche Grundbildung in Deutschland analysiert. Ich hab das Gefühl, die ist bei sehr vielen Menschen nicht sonderlich ausgeprägt. Merke ich auch daran, dass man oft erstmal den Unterschied zwischen akademischen und umgangssprachlichen Begriffsbedeutungen diskutieren muss („ist doch nur ne Theorie“), die Frage nach Quellen zu Behauptungen wie ein Angriff wahrgenommen wird („Google doch selber, wenn du mir nicht glaubst“), Studienergebnisse missverstanden bzw fehlerhaft auf Headlines heruntergebrochen wird usw.
Klar, Medien wie die Blöd oder noch populistischere Plattformen mit bösen Absichten spielen auch eine Rolle,aber ich glaube, die wäre kleiner wenn mehr Menschen eine Grundbildung in wissenschaftlicher Methodik hätten.