Die Grenze höher anzusetzen (oder - ohgott die armen Millionäre! - bloß nicht anzutasten) fordern erwartbar verschiedene Parteien. Bis auf Die Linke [1, 2] scheint allerdings niemand darüber nachzudenken, diese tatsächlich einfach abzuschaffen. 2016 gab es die Idee, feministisch gedacht, mal aus der Richtung einer SPD-Familienministerin, innerhalb der Partei gab aufgrund von Sorgen um entsprechend steigende Rentenbeiträge allerdings genug Gegenwind um die Überlegung wohl gleich ganz zu begraben und sich mit der jährlichen Anpassung zu begnügen, die wohl gerade ein kleines Stückchen besser ist, als nichts zu tun und durch Inflation und Lohnentwicklung immer weitere Teile der Arbeitnehmer:innen hineinrutschen zu lassen. Durch die Schonung der Sozialversicherungsbeiträge bei den reichsten Prozent unserer Gesellschaft entgeht dem Staat dabei in Zeiten von Einsparungsnöten an allen Ecken wahrscheinlich immense Summen, die anderswo investiert gehören. Das sorgt bei mir für Kopfschütteln.
Ich glaube: Wenn mehr Menschen wüssten, dass diese Grenze existiert und wie sie funktioniert, müsste es eigentlich mehr Gegenwind dagegen geben, anders kann ich mir das nicht erklären. Im Kern halte ich sie für einen fundamental unfairen Mechanismus, der im besten Fall dazu dient, sich politisch den Allerreichsten unserer Bevölkerung anzubiedern, um diese bloß nicht verhältnismäßig zu belasten wie den Rest.
Wie ist eure Meinung dazu? Gibt es Aspekte, die tatsächlich für die Grenze sprechen, oder was soll das ganze eigentlich?
Gehört abgeschafft. Das Gesundheitssystem in Deutschland ist ein Solidaritätsprinzip. Warum sollen genau die, die sehr viel verdienen dann weniger zahlen? Zudem wird das System, wie wir es jetzt haben, auf Dauer nicht mehr finanzierbar sein. Und die Zusatzbeiträge können nicht unbegrenzt angehoben werden. Deshalb hoffentlich eine Frage der Zeit, bis diese Grenze fällt (und dann auch gleich die PKV mit).
„Wir befinden uns an einem Kipp-Punkt“: Bei den Krankenkassen droht der nächste Kostenschock
Die Beitragssteigerungen werden 2024 wohl „eher am oberen Ende der befürchteten Skala“ liegen. Unternehmen und Kassen sind alarmiert. Sie sehen die Akzeptanz des Systems gefährdet.
Von Jürgen Klöckner
Heute, 12:23 Uhr
Während die Bundesregierung noch über weitere Entlastungen für Unternehmen und Bürger diskutiert, droht schon der nächste Kostenschock. Grund ist ein milliardenschweres Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), das sich für das kommende Jahr abzeichnet.
Dieses könne sich „eher am oberen als am unteren Ende der befürchteten Skala bewegen“, warnte die Vorständin des Dachverbands der Betriebskrankenkassen (BKK), Anne Klemm, gegenüber dem Handelsblatt. Dafür könnten unter anderem mögliche Kosten für diverse Reformen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sorgen, etwa für die Notfallversorgung und Kliniken.
Bislang gehen die Krankenkassen von einer Lücke zwischen 3,5 und sieben Milliarden Euro im Jahr 2024 aus. „Ich befürchte, dass wir dann eher bei sieben Milliarden Euro herauskommen werden“, sagte Klemm.
Zudem gebe es „durch die Konjunktur und steigende Arbeitslosigkeiten große Risiken für die Einnahmen“ der Kassen, warnte sie. Was das für Versicherte und Arbeitgeber bedeuten würde, zeigt das vorläufige und noch unveröffentlichte Finanzergebnis der GKV für das zweite Quartal 2023, das in die Analyse der BKK eingeflossen ist und dem Handelsblatt vorab vorlag.
Demnach müsste der Zusatzbeitrag ohne politische Maßnahmen um 0,2 bis 0,4 Prozentpunkte steigen. Für Versicherte und deren Arbeitgeber würde dies eine Mehrbelastung von jeweils bis zu rund drei Milliarden Euro bedeuten.
Pflegebeitrag ist auf Rekordhoch
Die Zahlen dienen gleichzeitig als Grundlage für das Treffen des Schätzerkreises im Oktober. Das Gremium berechnet die erwartbaren Einnahmen und Ausgaben der GKV im kommenden Jahr, woraus sich die nötigen Beitragserhöhungen ergeben. Dass sich diese erneut abzeichnen, nannte Klemm eine „Bankrotterklärung der Bundesregierung“. Dies stehe dem Versprechen entgegen, Unternehmen und Bürger zu entlasten.
„Wir befinden uns an einem Kipp-Punkt der Akzeptanz für das System“, sagte Klemm. „Die Versicherten werden bei steigenden Beiträgen und wachsender Unzufriedenheit mit der Versorgung hinterfragen, wofür sie eigentlich mehr Geld zahlen.“
Bereits in diesem Jahr stieg der durchschnittliche Zusatzbeitrag auf 1,6 Prozent. Hinzu kommt der allgemeine Beitragssatz von 14,6 Prozent auf den Bruttomonatslohn. Die Last teilen Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Die Versicherten werden bei steigenden Beiträgen und wachsender Unzufriedenheit mit der Versorgung hinterfragen, wofür sie eigentlich mehr Geld zahlen.
Anne Klemm, Vorständin des Dachverbands der Betriebskrankenkassen (BKK)
Auch der Pflegebeitrag wurde auf ein Rekordhoch angehoben. Lauterbach hatte bereits im Juni angekündigt, dass Kassenpatienten im kommenden Jahr wahrscheinlich mehr zahlen müssten.
Nach Handelsblatt-Informationen laufen im Kabinett allerdings noch Verhandlungen, um den Anstieg abzuwenden. „Jedwede Beitragserhöhungen sind kein Beitrag zu einer nachhaltigen Finanzierung“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Andrew Ullmann. „Ich erwarte, dass wir nach langem Warten einen konstruktiven Vorschlag des Ministers bekommen.“
Lindner will keine weiteren Steuergelder zur Verfügung stellen
In der Koalition schätzt man die Chancen auf fünfzig zu fünfzig, dass sich die beteiligten Minister auf entsprechende Maßnahmen einigen. Ergebnisse werden nicht vor November erwartet.
Hintergrund ist, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) keine weiteren Steuermittel zur Verfügung stellen will, um die Krankenkassen zu stabilisieren, gleichzeitig aber Maßnahmen wie eine höhere Beitragsbemessungsgrenze ablehnt. Die SPD sperrt sich wiederum gegen Leistungskürzungen.
„Dem Minister läuft die Zeit davon“, sagte der Wirtschaftsweise Martin Werding dem Handelsblatt. Die Ausgaben stiegen. Gleichzeitig gebe es keine kurzfristig wirksame Maßnahme, die den Anstieg eindämmt und gleichzeitig Druck auf die entsprechenden Akteure im Gesundheitssystem ausübt, wirksame Strukturreformen anzugehen. „Es bleiben nur zusätzliche Belastungen für Versicherte oder Patienten“, warnte er.
Werding fordert deswegen eine „einkommensabhängige Belastungsgrenze“, bis zu der die Versicherten ihre Gesundheitskosten selbst tragen können und müssen. „Ein solches Element sollte aber ebenfalls wohlüberlegt sein und später in ein umfassenderes Reformkonzept passen“, sagte er.
Der angekündigte weitere Anstieg des Zusatzbeitrags ist die traurige Konsequenz des fehlenden Willens des Gesundheitsministeriums, die gesetzliche Krankenversicherung zu reformieren und damit die Spirale ständig steigender Beitragssätze zu stoppen.
Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
Auch die Wirtschaft blickt zunehmend fassungslos auf die steigenden Sozialabgaben und sieht darin – neben den hohen Energiekosten – einen gravierenden Standortnachteil. „Der angekündigte weitere Anstieg des Zusatzbeitrags ist die traurige Konsequenz des fehlenden Willens des Gesundheitsministeriums, die gesetzliche Krankenversicherung zu reformieren und damit die Spirale ständig steigender Beitragssätze zu stoppen“, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger dem Handelsblatt.
Leistungskürzungen sind im Gespräch
Beschäftigten bliebe in Deutschland weniger von ihrem erwirtschafteten Einkommen als in fast allen anderen Ländern. „Das deutsche Gesundheitswesen ist das teuerste in der gesamten Europäischen Union“, sagte er. „Wir haben daher kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem.“
Vorschläge, das Kassendefizit zu senken, gibt es viele. Sie reichen von Leistungskürzungen bei Zahnarztbehandlungen, einem Gewinndeckel für Pharmaunternehmen, über höhere Zucker-, Tabak- und Alkoholsteuern bis hin zu einer niedrigeren Mehrwertsteuer auf Arzneimittel.
Die Koalition ist sich allerdings über all diese Maßnahmen uneins. Das Regierungsbündnis aus SPD, Grüne und FDP hatte sich zwar vorgenommen, die GKV bei den Mehrkosten für Bürgergeldempfänger stärker zu entlasten. Sie belaufen sich auf rund zehn Milliarden Euro pro Jahr. Das Vorhaben scheitert allerdings an den klammen Haushaltskassen.
Ampel uneinig über Reformvorschläge
Im ersten GKV-Finanzstabilisierungsgesetz verpflichtete sich das Bundesgesundheitsministerium (BMG) dazu, bis zum 31. Mai dieses Jahres Vorschläge für eine dauerhafte Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vorzulegen.
Nach eigenen Angaben hat das Ministerium damals auch fristgerecht geliefert – allerdings warten nach wie vor auch die Gesundheits- und Haushaltspolitiker der Ampel auf die Vorschläge.
Das liegt offenbar an erneuten Verständigungsproblemen in der Koalition. Auch nach mehr als drei Monaten, dauere „der Meinungsbildungsprozess innerhalb der Bundesregierung“ an, erklärt das BMG in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Unionsfraktion, die dem Tagesspiegel Background vorliegt.
Zudem hofft die Koalition, langfristig Kosten durch Reformen einzusparen – beispielsweise durch Digitalisierungsprojekte wie der elektronischen Patientenakte oder eine Krankenhausreform.
In der BKK-Analyse hingegen wird die Krankenhausreform zu den drei größten Ausgabenrisiken im kommenden Jahr gezählt. „Die Länder rufen nach mehr Geld, unter anderem für einen Strukturfonds“, sagte Vorständin Klemm. „Diese Kosten dürfen nicht den Krankenkassen aufgebürdet werden.“
Ausgabenrisiken sieht der Dachverband außerdem bei Arzneimitteln und im ambulanten Bereich durch die Inflation. Derzeit laufen beispielsweise mit Blick auf die Teuerungen Verhandlungen über höhere Ärztehonorare.
Einnahmen der Krankenkassen aber besser als erwartet
Immerhin kommt den Kassen zugute, dass die Einnahmen in diesem Jahr deutlich besser ausfallen als erwartet. Die Finanzen entwickelten sich sogar so gut, dass den Berechnungen zufolge der Zusatzbeitrag in diesem Jahr deutlich weniger stark hätte steigen müssen. Grund dafür sind unter anderem hohe Lohnabschlüsse und ein höherer Mindestlohn. Außerdem gab es weniger stationäre Behandlungen .Insgeamt wiesen die Kassen der BKK-Analyse zufolge im ersten Halbjahr ein Vermögen von knapp 9,5 Milliarden aus. Das könnte Begehrlichkeiten bei der Politik wecken, die bereits für dieses Jahr die Reserven der Krankenkassen anzapfte, um das Defizit zu senken.
„Gleichwohl werden etliche Sparmaßnahmen im kommenden Jahr nicht greifen“, sagte BKK-Vorständin Klemm. Neben höheren Beiträgen hatte die Bundesregierung für dieses Jahr unter anderem Einschnitte für die Pharmaindustrie, Praxen und Krankenkassen beschlossen, um die GKV zu stabilisieren. Diese sind nun nicht in Sicht.
Wieso sprechen wir eigentlich immer von 'Verdienst/verdienen' und nicht von 'Einkommen'? Schon mit der Wortwahl manipulieren wir uns selbst.
Zur Sache, obwohl die Kritik, dass das Leben für Reiche zu billig ist, absolut ihren Platz hat, sind die Sozialversicherungen nichtmal so entscheidend. Die bessere, logischere Stellschraube sind Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer. Eigentlich kann nichtmal die FDP dagegen argumentieren, denn denen geht es doch angeblich um 'Leistung' und reich sein oder erben sind doch beim besten Willen keine Leistung.
Zur krnakenkasse: hier müsste das private System abgeschafft werden, sonst wechselst jetzt noch wer kann, und dann bringt die erhöhung nix.
Zur rentenkasse: hier sollte es mMn perspektivisch ein System geben in das jeder einzahlt, sowohl Beamter, als auch selbstständiger oder privatier. Wenn man hier die Grenze direkt abschafft führt das auch zu bis zu 10% mehr Gehalt bei top verdienern, das wird ordentlich Gegenwind aus der Wirtschaft geben.
Allerdings könnte man dann bei beiden Systemen die Sätze verringern, das sollte auch zur Akzeptanz beitragen.
Menschen, die gut verdienen, werden heute schon an allen Ecken und Enden geschröpft. Dabei unterscheiden sie sich kaum signifikant von Geringverdienern: Ja, da bleibt am Ende des Monats vielleicht was übrig. Aber sie müssen genauso ihre Lebenszeit eintauschen, um ihre Rechnungen zu zahlen und vorallem die Ansprüche der Kapitaleigner zu erwirtschaften. Sie sind definitiv nicht reich. Die Grenzen höher anzusetzen trifft aber genau sie und wen nicht? Millionäre und allgemein Entitäten, die von Kapitalerträgen leben können. Da liegt das Geld - literally - und da muss der Sozialstaat es holen. Arbeit ist bereits viel zu hoch belastet, Kapital ist viel zu gering belastet. Zumal die Arbeit die Rendite des Kapitals erwirtschaften muss und nicht umgekehrt. Statt die Opfer der kalten Progression, nämlich die Mittelschicht, die heute Spitzensteuersatz bezahlt, nocht weiter zu belasten, sollten Steuern und Sozialabgaben für die meisten Arbeitnehmer runter und für die absoluten Topverdiener wie Ärzte, Notare, angestellte Geschäftsführer rauf, aber vorallem sollten sie für Firmen und Kapitalerträge geradezu explodieren.
Die Rente ist gedeckelt, warum sollte nicht auch die Einzahlung gedeckelt sein? KK gleiches Prinzip. Wie willst du es jemandem verkaufen, dass er jeden Monat 1000 Euro Beitrag zahlen soll, wenn die Gegenleistung nicht stimmt? Zumal alle Selbstständigen, die also richtig Kohle verdienen können und Leute die sehr sehr gut verdienen lassen sich i.d.R. nicht als 0815 Arbeitnehmer einstellen, immer noch außen vor sind und gar nichts einzahlen müssen.
Abschaffung bringt also gar nichts, solange Selbstständige nicht einzahlen müssen, nur das die Topverdiener noch eher gewillt sind ihre Leistungen als Soloselbstständige anzubieten um sich ganz aus dem System zu verabschieden und sich billiger und besser privat für Rente und Krankheit zu versichern.
Die Rente ist nicht automatisch gedeckelt, sondern eben als direkte Berechnungsfolge der Beitragsbemessungsgrenze. Und ganz grundsätzlich mal gefragt: Warum sollte sie gedeckelt sein? Nach dem Äquivalenzprinzip muss die Rentenkasse auszahlen, was sie einbezahlt bekommen hat. Das macht erstmal auch für höhere Einkommen Sinn.
Jetzt kann man natürlich sagen: Ja gut, aber wir wollen nicht, dass Reiche so eine hohe Rente bekommen. (Da kann ich mitgehen - so reiche Menschen sollte es wahrscheinlich einfach gleich gar nicht geben, aber das ist nochmal ein ganz anderes Thema.) Das erreicht man mit der Bemessungsgrenze aber gar nicht. Wer es sich leisten kann investierst sein überschüssiges Kapital (z.B. die Ersparnisse aus der Beitragsbemessungsgrenze) und vervielfachst es. Reiche Menschen haben im Kapitalismus weitläufige Möglichkeiten, ihren Wohlstand zu vermehren. Das lösen wir nicht, indem wir dem Sozialversicherungssystem Beiträge vorenthalten, das ist alles nur Bürokratie, die die realen Verhältnisse verschleiert.
Wenn man tatsächlich verhindern will, dass einige Rentner:innen so viel Geld haben, dann muss man ganz woanders ansetzen. Zum Beispiel durch Pflichtversicherungen, indem das Äquivalenzprinzip ganz aufgehoben wird, ein gestaffeltes System entwickelt und eine bedingungslose Grundrente geschaffen wird, auf die die CEOs dieser Welt aufstocken dürfen. Wahrscheinlich haben da Expert:innen noch bessere Ideen als ich so spontan während meines Feierabends. Ich meine aber, dass es welche geben sollte, und vor allem meine ich, dass es einen breiteren politischen Dialog darüber braucht als nur bei einer einzigen Partei, die für sowas von den meisten Berufspolitiker:innen gegenwärtig belächelt wird.
Wenn wir mal annehmen dass die meisten Parteien im Kern opportunistisch veranlagt sind verstehe ich einfach nicht warum "Beitragsgeschenke an Milliardäre stoppen" nicht mehrheitsfähig ist, und daher nicht von einer breiten Mehrheit der Parteien so gegenüber der Wählerschaft angeboten wird.