Erfasst, touchiert, übersehen - warum Sprache in Polizeimeldungen und Artikeln die Wahrnehmung von Unfällen beeinflusst und dadurch Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit verhindert werden.
Der Klassiker, der hier gar nicht erwähnt wird, ist ja "Radfahrer rast in Autotür" ... da muss der Radfahrer ja selbst schuld sein, wenn er so schnell ist, und die Tür, die war halt einfach da .... /s
Darüber habe ich aktiv nie nachgedacht, aber so ausgeschrieben und die Formulierungen gegenübergestellt macht es einen sehr großen Unterschied in der Wirkung.
Autofahrer erfasst ist eine Schuldzuweisung. Die Frage der Schuld an dem Unfall, ob nicht z.B. ein technischer Defekt, medizinischer Notfall oder sonstwas, das den Autofahrer selbst nicht zu aktiven Täter macht, vorgelegen hat, ist aber bis zum Abschluss der Untersuchung ungeklärt. Somit bleibt solange nur ein Auto erfasst ö.Ä. als neutrale Aussage übrig.
Der Beitrag des ADFC greift auch andere Formulierungen auf, z.B. die Nennung ob Radfahrer dunkle Kleidung oder keinen Fahrradhelm trugen. Gerade die Bemerkung zum Helm impliziert eine potenzielle Mitschuld der Radfahrenden, obwohl es keine Pflicht dazu gibt.
Zumal in solchen Meldungen dennoch meist von Radfahrenden geschrieben wird und nicht von involvierten Fahrrädern. Damit bleibt dennoch eine Unausgeglichenheit bei den Unfallbeteiligten. Dass der Autofahrer im konkreten Fall auch noch Unfallflucht beging macht die Überschrift auch nicht gerade neutraler.
Darüber kann man streiten, aber letztendlich würden sich wahrscheinlich die Gerichte dieser Interpretation anschließen. Wenn es dazu kommen sollte, dass eine Redaktion den Leitfaden von Dr. Schneidemesser anwendet, wahrscheinlich wird diese Redaktion nach der ersten Klage eines Autofahrers wieder zurückrudern müssen. Ich glaube die beste Lösung wäre es die erste Polizeimeldung zu ignorieren und eine Berichterstattung überhaupt erst dann zu veröffentlichen wenn die Schuldfrage einigermaßen geklärt ist.
Naja, aber wann ist "neutral" wirklich "neutral" ? Bei 'nem Dooring-Unfall ist's ja meistens ein Autoinsasse, der unachtsam eine Autotür öffnet, und das Radfahry keine Zeit zum Reagieren hat ... trotzdem heisst es dann "Radfahrer fährt in Tür", und das wäre dieser Logik nach "neutral", beschreibt aber das Problem (unachtsame Autoinsassen) überhaupt nicht ... rechtlich sicher, aber im Gesamtkontext unfair ...
Wir haben da ja auch eine enorme Ungleichheit in der Erkenntnislage: Der Radfahrer ist ja meistens noch im Krankenhaus in Behandlung, wenn die Meldung rausgeht und wurde daher nicht von der Polizei befragt. Ein Natenom hätte zum Unfallhergang sicherlich andere Dinge erzählt als sein Mörder. Ein Autofahrer wird natürlich was von "tiefstehende Sonne", "unbeleuchtet" oder "übersehen" erzählen, wenn er beim Aufs-Handy-Starren jemanden umfährt. Die polizeilichen Ermittlungen zu Geschwindigkeit etc. kommen dann auch erst später, aber im Bericht steht dann "plötzlich tauchte der Radfahrer auf" und naja, die Gutachten dazu, ob der Greis trotz seiner 18 täglichen Medikamente und diagnostizierter Schlaf Apnoe hätte Auto fahren dürfen, kommt auch später.
Mord würde erfordern, dass der Typ den Radfahrer mit Absicht umgefahren hat, oder ein sonstiges Mordmerkmal nach §211 StGB erfüllt (gewesen) ist. Solange bleibt es "nur" Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge.
Wer sich etwas ausführlicher mit der Materie befassen will, dem kann ich wärmstens "Manufacturing Consent" von Herman und Chomsky empfehlen.
Uneingeordnete Übernahme von "offiziellen" Quellen und entsprechende kleine sprachliche Regelungen können im medialen Dauerfeuer großen Einfluss schaffen